Aneignung von Umwelt und Welt: die Ausbeutung der deutschen Gebiete im Südwestpazifik durch die Deutsche Südseephosphat-Aktiengesellschaft, 1909–1914
Lea Wesemann (geschrieben in der Arbeitsgruppe Neuere und Neueste Geschichte, Universität Bremen)
Im Jahr 2022 forderte Angaur, eine kleine Insel der Palau-Inselgruppe im Pazifik, von der Bundesrepublik Deutschland eine Wiedergutmachung für die koloniale Ausbeutung in den Jahren 1909 bis 1914.[1] In diesen fünf Jahren wurden Phosphatvorkommen durch ein bremisches Unternehmen, die Deutsche Südseephosphat-Aktiengesellschaft, auf der Insel abgebaut und nutzbar gemacht. Am Beispiel des Phosphatunternehmens auf Angaur kann deswegen verdeutlicht werde, welche Auswirkungen eine Kolonialisierung hatte und wie ausbeuterisch die Imperialmächte in den Kolonien vorgegangen sind. Gleichzeitig kann anhand der Deutschen Südseephosphat-AG untersucht werden, inwiefern Kolonialismus und Ressourcen miteinander zusammenhingen und gezeigt werden, dass bestimmte Güter, wie z. B. Phosphate einen wichtigen Teil kolonialer Herrschaft ausgemacht haben.
Die Bachelorarbeit folgt deswegen den Fragestellungen, warum die Erschließung phosphathaltiger Erde im Jahr 1905 zu einer umfassenden Mobilisierung verschiedener Kräfte führte und welche Intentionen für die beteiligten Akteur:innen von Interesse waren. Genauso wird untersucht, welche Rolle bestimmte Güter – wie Phosphate – bei der Ausgestaltung von kolonialer Herrschaft hatten. Deswegen wird in dieser Arbeit der Zugriff über die Commodity Studies gewählt, die sich mit zeit- und raumspezifischen Wegen von Gütern und Dienstleistungen als solchen beschäftigen und in diesem Kontext erforschen, welche Auswirkungen diese Transportwege und Dienstleistungsverhältnisse auf Gesellschaft und Umwelt haben.[2] Wichtige Fragen innerhalb dieses Forschungsansatzes sind, warum viele ressourcenreiche Länder tendenziell durch ein niedriges Wirtschaftswachstum, massive wirtschaftliche Ungleichheit und hohe Armutsraten gekennzeichnet sind und wie dies historisch zu erklären ist. Das Beispiel der Deutschen Südseephosphat-AG eignet sich besonders gut, um diesen Fragen nachzugehen, weil sie durch die Ausbeutung der Bodenschätze der Insel Angaur für ein solches Missverhältnis von ökonomischem Reichtum gesorgt hat.[3] Neben der gedruckten Autobiographie des Gouverneurs von Deutsch-Neuguinea, Albert Hahl, fußt die Arbeit auf einer breiten Basis archivalischer Quellen. Dabei stützt sie sich auf die Unterlagen der Deutschen Südseephosphat-AG aus dem Staatsarchiv Bremen und dem Archiv der Handelskammer, Bremen. Zudem werden Quellen aus dem Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Oldenburg und dem Bundesarchiv herangezogen, um eine tiefgreifende Analyse der Produktionsmechanismen und der Arbeitskräfteproblematik vornehmen zu können.
Das Zusammenspiel aus einem großen Interesse am natürlichen Rohstoff, ökonomischen Motiven und kolonialer Administration hat der Deutschen Südseephosphat-AG auf der Insel Angaur einen großen Handlungsspielraum ermöglicht, der bei äußeren Hindernissen noch erweitert wurde. Dabei kam es, wie die zu Beginn erwähnten Forderungen zeigen, durch die Ausbeutung des Phosphats und die dafür geschaffene Infrastruktur zu tiefgreifenden Eingriffen in die Ökologie der Insel und das Leben der Insulaner:innen. Die Dimension Arbeit zeigt, dass die Deutsche Südseephosphat-AG nicht davor zurückschreckte, die geregelten Arbeitsregularien zu umgehen, um die Phosphatausbeute und die ökonomische Rentabilität zu gewährleisten.
In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass Güter und Ressourcen, wie das Phosphat, wichtige Faktoren für die Ausgestaltung von kolonialer Herrschaft waren und durch sie eine Intensivierung kolonialer Herrschaftsverhältnisse ermöglicht wurde. Die historische Forschung hat die Effekte, die Güter und Ressourcen auf die Ausgestaltung kolonialer Herrschaft hat, bisher kaum betrachtet. Das Interesse an einer möglichst wirtschaftlichen Nutzbarmachung des Phosphats und die dadurch intensivierte koloniale Herrschaft auf der Insel Angaur lässt sich mithilfe der herangezogenen Quellen erkennen. Der gesamte Schriftverkehr und die Ertragsübersichten handeln davon, wie der Phosphatabbau möglichst rentabel gestaltet werden kann und welche Ressourcen, Personen und Mittel dafür mobilisiert werden müssen. Zudem dokumentieren die zeitgenössischen Fotografien dieses Vorhaben eindrucksvoll.
[1] Die Forderungen sind hier zu finden: Leilani Reklai, Angaur Seeks Remedy from Germany, in: Island Times Palau, 4.3.2022, https://islandtimes.org/angaur-seeks-remedy-from-germany (abgerufen am 22.2.2024).
[2] Johannes Kepler Universität Linz (o. A.): Interdisciplinary Commodity Studies. Leitmotiv, online abrufbar unter: https://www.jku.at/institut-fuer-wirtschafts-sozial-und-umweltgeschichte/forschung/projekte/commodity-studies/ (02.07.2024).
[3] Beckert, Sven; Bosma, Ulbe; Schneider, Mindi; Vanhaute, Eric: Commodity frontiers and the transformation of the global countryside: a research agenda, in: Journal of Global History, 16/ 2021, S. 435–450, hier S. 438.